Tagged: Buteyko · Schlaf

Trauma, Schlaf, Buteyko und der Locus Coeruleus

Featured Image

Stell dir jemanden vor, der seit Jahren nicht richtig zur Ruhe kommt. Jemanden, der abends erschöpft ins Bett fällt und trotzdem wach liegt, weil sein Körper noch immer nach Gefahr sucht. Der kleinste Ton lässt ihn zusammenzucken. Einschlafen dauert ewig. Wenn der Schlaf dann endlich kommt, ist er flach, brüchig, unruhig. Und am Morgen fühlt sich alles an, als hätte die Nacht keine einzige der inneren Spannungen wirklich abgetragen. Dieser Mensch hat vielleicht früh gelernt, aufmerksam zu sein. Vielleicht stand in der Kindheit niemand zwischen ihm und der nächsten Verletzung. Vielleicht musste er ständig prüfen, was um ihn herum passiert, um sicher zu bleiben. Das Nervensystem hat diesen Auftrag bis heute nicht vergessen. Es scannt immer noch. Es hält noch Wache. Und paradoxerweise geschieht das nicht nur am Tag, sondern auch in der Nacht, genau dann, wenn wir am dringendsten Ruhe bräuchten. Kennst du das eventuell auch von dir?

Hier kommt eine Frage auf, die vielleicht viele Menschen in dieser Situation stellen. Was kann ein Mensch da tun, also wirklich tun, um wieder besser zu schlafen, um das Nervensystem runterzufahren, um nicht immer und überall alles zu scann? Ich stelle noch eine weitere. Was hat das alles mit meiner Atmung zu tun? Jedenfalls ist das eine Frage, die ich mir stellte und die ich auch in den letzten Jahren mit manchen Patienten:innen besprach.

Die Antwort liegt tiefer, als man denkt. Zwischen Trauma, Schlaf und Atem gibt es eine direkte neurologische Verbindung. Im Zentrum steht der Locus Coeruleus, jene winzige Hirnstruktur, die entscheidet, ob du dich sicher fühlst, oder ob du weiter auf Alarm bleibst. Und genau dieses System reagiert extrem sensibel auf Stress, früh erlernte Schutzstrategien und auf deine Atmung.

Erst wenn wir verstehen, wie Trauma den Locus Coeruleus dauerhaft in einen Wachmodus versetzen kann und warum bestimmte Atemmuster diesen Alarm verstärken oder beruhigen, wird klar, warum ein sanfter, traumasensibler Zugang so wirksam sein kann. Hier beginnt nun die eigentliche Geschichte.

Was bei Trauma im Gehirn passiert

Der Locus Coeruleus (LC) ist das Hauptzentrum für Noradrenalin im Gehirn (Van Someren, 2021). Er wirkt wie ein Wachheits- und Gefahrendetektor. Er scannt die Umgebung nach Bedrohung. Er tritt bei Stress in Aktion und erhöht demzufolge Herzfrequenz, Tonus und auch die Reaktionsbereitschaft. Van Someren nennt das den „arousal system driver“ der Insomnie. Bei Trauma wird der LC dauerhaft sensibilisiert. In anderen Worten, frühe, wiederholte Bedrohung führt dazu, dass der LC stärker feuert und leichter anspringt. Er beruhigt sich dann auch schlechter. Grundsätzlich, sein basales Aktivitätsniveau bleibt einfach höher. Das nennt man Hypervigilanz und sie ist tief in der LC-Noradrenalin-Achse verankert. Du bist also nicht blockiert, sondern dein LC ist zu oft und zu lange im ON-Modus.

Warum der Schlaf schwierig wird

Der entscheidende Punkt aus Van Someren (2021) ist der REM Schlaf. REM = Rapid Eye Movement. Das ist die Schlafphase des intensiven Träumens, in der das Gehirn sehr aktiv ist, aber die Muskeln entspannt sind. Gesunder REM-Schlaf braucht eine Phase, in der der LC völlig schweigt. Dieser sogenannte Noradrenalin-Timeout ist notwendig, damit das Gehirn nachts emotionale Stress-Spuren verarbeitet und synaptische Verbindungen reorganisiert. In gesundem Schlaf ist der LC im REM fast vollständig abgeschaltet. Noradrenalin sinkt daher auf nahe Null. Das limbische System (darunter fallen die Amygdala, der ACC = Anterior Cingulate Cortex und der Hippocampus) kann emotionale Erinnerungen entladen. Dann kann Stress über Nacht abgeschwächt werden. 

Bei Insomnie passiert das Gegenteil. Der LC ist nicht ausreichend abgeschaltet und deswegen bleibt das Noradrenalin zu hoch. Das hat Auswirkungen auf den REM Schlaf. Der REM wird fragmentiert („restless REM sleep“). Das heißt wiederum, dass emotionale Erinnerungen nicht reguliert oder weniger gut reguliert werden. Stress wird über Nacht stärker statt schwächer und das ist schon eine üble Sache.

Wenn dein LC weiter alarmiert ist, kann er nicht in den Schlafmodus wechseln. Du schläfst ein, aber wachst ständig wieder auf („micro-arousals“), hast flachen Schlaf, viel mentales Grübeln, manchmal ereignisnahe Träume. Das wäre auch ein klassisches Muster aus der Studie. So viel erst einmal zum LC und REM. Schauen wir uns jetzt mal das ganze aus einer Traumperspektive an.

Trauma verstärkt den Effekt

Wenn wir das ganz kurz auf den Punkt bringen sieht es so aus: Hypervigilanz → Restless REM → Hyperarousal. Das ist ein Kreislauf, welcher mit früher Bedrohung alias Trauma began. Der LC wird überempfindlich, d.h. der LC reagiert nachts stärker als im Normalzustand. Der REM-Schlaf wird fragmentiert. Es gibt also keine Noradrenalin-Pause. Stress wird nicht mehr über Nacht reguliert, was eigentlich der Fall sein sollte. Emotionale Netzwerke bleiben aktiv und das führt am nächsten Tag zu mehr Alarmbereitschaft, mehr Reizbarkeit, mehr Grübeln. Dadurch wird der LC noch sensibler. Die Insomnie verstetigt sich. Somit steigt das Risiko für Angst, Depression und PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung).

Das passt perfekt zu Traumafolgen, ohne dass du falsch funktionierst. Dein Nervensystem arbeitet so, wie es dich damals schützen musste. Und jetzt machen wir einen Schritt Richtung Buteyko.

Warum Buteyko hilfreich sein kann und zugleich traumasensibel angepasst werden muss

Die Buteyko Atmung zielt auf folgende Punkte ab. Wir atmen ruhig über Nasen und nicht den Mund, denn zweites würde wieder das Stresssystem aktivieren. Dazu kann es über Dauer zu einer höheren CO₂-Toleranz kommen, vorausgesetzt, man entspannt in die Ausatmung hinein und verlangsamt die Atmung und integriert kurze Atempausen zwischen Ausatmen und Einatmen. Dadurch wird das parasympathische Nervensystem aktiviert. Das führt zu einer Senkung der LC-Aktivität. Das führt zu einer zerebralen Vasodilatation, d.h. die Blutgefäße im Gehirn erweitern sich und somit kommt es zu einer Abnahme der sympathischen Übererregung. Das ist genau die Richtung, die laut Van Someren sinnvoll ist, also, LC-Überaktivierung reduzieren und den Noradrenalinspiegel dämpfen.

Aber, bei Trauma reagiert das System sensibel auf Atemkontrolle. Warum? Weil Atempausen, Fokus auf Atmung und/oder tiefe Atemführung vom Gehirn als potenziell bedrohlich interpretiert werden können. Sie erinnern implizit an Kontrollverlust oder Erstickenserfahrungen. Daher ist es wichtig, Buteyko traumasensibel, minimal, körperverbunden und vor allem ohne Leistungsdruck, anzupassen. Wie könnte das nun aussehen?

Traumasensible Buteyko-Anpassungen

Es fängt mir Freiheit und Autonomie an. In anderen Worten, darfst du jederzeit normal atmen, was auch immer das jetzt für dich bedeuten mag. Diese Freiheit steht dir zu. Hier ist eine erste Grenze, also eine Grenze, die du spüren darfst. Die Grenze sagt, jetzt nicht weiter. Hier tut es mir nicht gut. Ich möchte eine Pause oder abbrechen. Und das ist vollkommen in Ordnung. 

Es braucht kleine Schritte statt ein rigoroses Verfolgen von Übungen. Das kann bedeuten, nur 1–2 Sekunden länger ausatmen als sonst. Das reicht erst mal. Es muss wirklich nicht mehr sein. Ehrlich. Wenn du Atempausen einbauen möchtest, gerne, aber auch hier Atempausen erzwingen, halte ich für eine sehr schlechte Idee.

Die Sicherheit ist ausschlaggebend. Und zwar im Körper. Was hier helfen kann, ist Kontakt. Den Kontakt, den du zu deinem Körper herstellst, z.B. in dem du deine Hände auf Brustkorb und Bauch legst. Diese taktile Beruhigung spricht dein Nervensystem an. Das geht durch das ganze System und der LC darf sich somit auch beruhigen.

Noch mal zu den Atempausen. Keine langen Atempausen!!! Viele machen Buteyko und dann heißt es immer, “aber meine Kontrollpause ist so kurz”. Alleine schon in dieser Aussage ist das Problem, der Leistungswille. Das mag ja im Leistungssport angebracht sein, wobei ich da so auch nicht zustimmen würde, aber gerade hier bei der Atmung mit einem traumatischen Hintergrund, stimme ich gar nicht zu. Leistungswille bringt Schmerz und Leid mit sich. Das wäre das Gegenteil von Heilung und Gesundheit und Wachstum. Noch einmal. Bei Traumahintergründen ist dies oft kontraproduktiv. Und daher gibt es auch keinen Fortschritt. Es braucht etwas anderes.

Bedenke Ressourcen zuerst. Bevor du mit Atem arbeitest, stelle dir mal folgende Fragen. Bist du an einem sicheren Ort? In anderen Worten, fühlst du dich an diesem Ort wohl, also ich meine, wirklich wohl, diese Arbeit zu machen? Wenn du dich nicht zwischen einem Ja oder einem Nein entscheiden kann, also wenn es so klingt, als wüsstest du es noch nicht, plädiere ich für das Nein, und somit für deine Sicherheit. Welche Körperempfindungen nimmst du wahr? Was ist deutlich da, was verschwimmt eher? Deutlich könnte sein, ein Gefühl von Wärme, ein Gefühl von Weite und ein Gefühl von Weichheit. Das sind die drei W´s, mit denen ich schon oft gearbeitet habe. Wärme, Weite und Weichheit. Und, wie sieht es mit deiner Orientierung im Raum aus? Hast du einen guten Blick, keine zu großen Fokus aber auch kein Verschwimmen. Wie ist die Orientierung? Das sind alles wichtige Fragen, damit die emotionale Erinnerung nicht sofort durch LC-Aktivierung anspringt.

Wie sieht das dann praktisch aus?

  • Setz dich bequem hin.
  • Spüre beide Füße auf dem Boden. Das schafft Erdung und somit Sicherheit.
  • Atme durch die Nase, ohne etwas verändern zu wollen.
  • Wenn du magst, verlängere nur eine Ausatmung pro Minute um 1–2 Sekunden.
  • Beende sofort, wenn ein Stresssignal kommt, da der LC sonst wieder hochgefahren wird.
  • Gönne dir eine Pause.
  • Und komme zurück zu normalem, unbewusstem Atmung.

Warum wirkt das? Weil dadurch die LC-Aktivität minimal sinken kann, das Noradrenalin reduziert werden kann, das parasympathische System mehr übernimmt. Und schließlich sind das gute Voraussetzungen für einen tieferen, erholsameren Schlaf. 

Und noch einmal, warum wirkt das??? Weil das Selbstfürsorge ist, ein Akt der Selbstliebe, d.h. du lernst deine Grenzen wertzuschätzen, sie zu akzeptieren und dich innerhalb deiner Grenzen zu entwickeln, in deiner Geschwindigkeit. Fortschritte werden kommen und zwar genau dann, wenn du schon gar nicht mehr dran denkst, wenn es dir gar nicht mehr wichtig ist. Das kann eventuell nach einem Jahr sein oder vielleicht noch länger. Bitte verstehe mich nicht falsch. Du möchtest morgen noch eine Änderung. Tja, was soll ich sagen. Leistungswille.  Ich verstehe, das ein Mensch sein Leiden beenden möchte. Aber das Leiden kam auch nicht über Nacht. Es hat Zeit gebraucht und somit braucht es auch wieder Zeit, da rauszukommen. Das ist Selbstliebe. Selbstliebe quantifiziert nicht. 

Und noch etwas. Wenn du dich da unsicher fühlst, suche dir bitte Hilfe. Suche jemanden, der sich damit auskennt. Niemand muss das alleine schaffen. Wirklich. Ich hatte oft externe Hilfe in Anspruch genommen. Es war es voll wert. 

Fazit

Dein Gefühl, dass irgendetwas im Kopf wach bleibt, ist neurobiologisch absolut zutreffend. Die Studie zeigt, dass Trauma den Locus Coeruleus sensitiver macht. Ein sensitiver LC schafft weniger Noradrenalin-Timeout. weniger Timeout heißt wiederum restless REM und restless REM schafft einen Zeitraum, in dem keine emotionale Entlastung über Nacht stattfinden kann. Keine Entlastung führt zu chronische Übererregung des Nervensystems und zu Schlafproblemen. Es ist umkehrbar. Einen Hinweis habe ich versucht hier zu liefern. Du bist also nicht kaputt. Dein Gehirn schützt dich. Mit sanften, traumasensiblen Methoden kann der LC lernen, wieder ruhiger zu werden.

Literatur:

Bilder: