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Warum Tiere zittern – und was wir davon lernen können

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Wenn Tiere in der Wildnis einer Bedrohung ausgesetzt sind, zeigen sie eine erstaunlich klare Abfolge instinktiver Reaktionen. Forschungen zu sogenanntem “escapable” und “inescapable shock” haben gezeigt, dass Tiere zunächst kämpfen oder fliehen, dann erstarren – und schließlich beginnen zu zittern. Dieses Zittern, auch neurogener Tremor genannt, ist weit mehr als eine nebensächliche körperliche Reaktion. Es scheint ein zentraler Bestandteil ihrer natürlichen Fähigkeit zu sein, Stress zu verarbeiten und sich selbst zu regulieren.

Beobachtungen aus Labor und Wildnis zeigen denselben Ablauf. Auf den kurzen Kampf- oder Fluchtversuch folgt eine Phase der Immobilität. Danach beginnen die Tiere sichtbar zu beben, ihre Gliedmaßen zu schütteln oder Laute auszustoßen – und kehren anschließend ganz selbstverständlich zu normalem Verhalten zurück. Afrikanische Wildhüter berichten sogar, dass Tiere, die nach dem Einfangen nicht zittern, später schlechter überleben. Dieses Zittern ist also keineswegs ein Zeichen von Schwäche, sondern ein wichtiger biologischer Mechanismus, um überschüssige Energie abzubauen und das Nervensystem zu resetten.

Der Hintergrund dafür liegt im Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus während der Erstarrungsreaktion. Im Freeze-Zustand schießen Stresshormone, Opiate und andere biochemische Stoffe in die Höhe. Das Zittern – so vermuten Forscherinnen und Forscher wie Peter Levine (Gründer der Traumtherapiemethode Somatic Experiencing) – hilft dem Körper dabei, diese Stoffe wieder abzubauen und in einen entspannten, nicht-alarmierten Zustand zurückzufinden. Studien an Wildgänsen zeigen beispielsweise, dass Körperzittern mit einer schnelleren Erholung vom Stress einhergeht. Auch sinken die Opiatwerte im Körper, wenn Tiere nach einer Bedrohung ausgeschüttelt haben – ein weiterer Hinweis darauf, dass Zittern nicht Angst ausdrückt, sondern Heilung unterstützt.

Bei Tieren ist dieser Prozess selbstverständlich. Bei Menschen dagegen ist er kulturell weitgehend unterdrückt. Viele schämen sich für Zittern nach einem Schock, deuten es als Angst oder Kontrollverlust. Eltern in Krisengebieten versuchen oft instinktiv, ihr eigenes Beben zu unterdrücken, damit ihre Kinder sie nicht fürchten. In nicht-bedrohlichen Kontexten wird Zittern zudem häufig pathologisiert – als Zeichen neurologischer Erkrankungen oder psychischer Störungen. So wurde eine natürliche, regulierende Körperfunktion sozial aus dem Alltag verdrängt.

Dabei gibt es viele Hinweise darauf, dass auch Menschen von solchen spontanen Tremoren profitieren können. Traditionelle Bewegungspraktiken wie Chi Gong, körperorientierte Therapieformen von Bioenergetik bis Somatic Experiencing und auch moderne Methoden wie EMDR beziehen Körperbewegung oder -zittern bewusst ein, um Stress zu lösen und das Nervensystem zu beruhigen. Die therapeutische Nutzung von Zittern ist also keineswegs neu – sie wurde nur im Westen lange übersehen.

David Berceli knüpft mit seinem Konzept der Trauma Releasing Exercises (TRE) direkt an diese natürliche Fähigkeit des Körpers an. Durch gezielte, einfache Bewegungen wird das neurogene Zittern bewusst reaktiviert – als Einladung an den Organismus, das zu tun, was Tiere ganz selbstverständlich tun: Spannung abschütteln, Stresshormone abbauen und das Nervensystem wieder in einen Zustand von Sicherheit bringen. Studien und zahlreiche Erfahrungsberichte zeigen, dass Menschen dadurch Schlaf verbessern, Stress verringern und Symptome von Übererregung abbauen können.

Zusammengenommen ergibt sich ein stimmiges Bild: Zittern ist eine tief verankerte, evolutionär alte Form der Selbstregulation. Tiere nutzen sie jederzeit spontan – und bleiben dadurch oft erstaunlich resilient, selbst in lebensbedrohlichen Situationen. Vielleicht ist es Zeit, dass wir Menschen uns daran erinnern, dass auch unser Körper solche Wege kennt. Dass Zittern kein Fehler ist, kein Zeichen von Schwäche, sondern ein natürlicher Ausdruck eines Nervensystems, das versucht, wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Literatur:

  • Berceli, David (2008). The revolutionary Trauma Release Process. Transcend your toughest times. Vancouver: Namaste Publishing

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