Ungefähr 500 vor Christus lebte ein vorsokratischer Philosoph, namens Heraklit, für den die Welt ein Inbegriff von stetiger Bewegung und Veränderung war. Von ihm stammt auch der Spruch, das man nicht zweimal in denselben Fluß steigen könne. Alles Leben ist Bewegung und alle Bewegung ist Veränderung. Seit dieser Zeit hat sich sehr viel getan. Vor ungefähr 200 Jahren griff die Industrialisierung in unseren Tages- und Nachtablauf ein, was unter anderem dazu geführt hat, das manche Menschen heute ein intimes Verhältnis mit ihrem Mobiltelefon haben, anstatt sich mit dem weichen Kopfkissen zu vergnügen. Der technologische Fortschritt hat, wie so viele Dinge im Leben, Vor- und auch Nachteile.
„Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt, die Schlafenden aber wenden sich jeder ihrer eigenen Welt zu.“ Heraklit
Heraklit scheint es noch gewusst zu haben, nämlich mit der Sonne zu gehen. Stand sie am höchsten war Siesta angesagt. In Metropolen wie New York City, Moskau, Tokio, etc. schlafen Menschen nie. Das stimmt so nicht ganz, jedoch mögen sie dort höchstwahrscheinlich anders schlafen, vielleicht tagsüber und nachts sind sie aktiv.
Folgen der Industrialisierung
Die Ruhepause der Nacht, einst eine Notwendigkeit, wird nun zum Feind der Produktivität. Dies begann, so der Dichter Jean Paul, Ende des 19. Jahrhunderts. Laut der Krankenkasse DAK leiten heute vier von fünf Deutschen unter Schlafproblemen. In der Leistungsgesellschaft wird sich damit gebrüstet, mit wie wenig Schlaf man auskäme und somit mehr als andere arbeiten kann. Ich erinnere mich z.B. an mehrere Menschen, welche folgenden Satz äußerten, “Schlafen kannst du wenn du tot bist”. Darum geht es jedoch nicht. Gerade Leistung braucht angemessenen Schlaf, insbesondere kognitive Leistunge. Der Körper mag vielleicht ein wenig zurückstecken, jedoch nicht unser Gehirn, speziell unser Denken.
Diese Behauptung kann ich ganz ohne Widerspruch bestätigen. Jeden Tag für ca. 3 Stunden Sport zu machen, mag am Anfang ein wenig ermüdend sein, doch sofern die körperliche Anpassung eintritt, kommt es zu einem Energiehoch. Probieren Sie es aus! Ganz anders bei kognitiven Tätigkeiten. Ich erinnere mich zurück an mein Abitur. Eine tägliche kognitive Arbeitslast von ca. 8 Stunden. Eine Nacht von 8 Stunden war damals fast nie ausreichend, ich benötigte manchmal mehrere Nickerchen während des Tages, neben der körperlichen Betätigung und der ausgewogenen Ernährung.
Ursachen für Schlafprobleme
Es lässt sich festhalten, dass es aufgrund der Industrialisierung mehrere Gründe für Schlafprobleme gibt: Emotional-Kognitive Überlastung, Bewegungsmangel, eine mangelhafte Zufuhr an notwendigen Mikro- und Makronährstoffen. Vielleicht sind diese drei Ursachen primäre Ursachen. Fehlende Bewegung, zusammen mit ungesunder Ernährung und einer konstanten Überlastung können auf Dauer zu weiteren, sekundären Problemen führen, z.B. Alkoholmissbrauch, bzw. Drogenmissbrauch und/oder ein Defizit in Konfliktlösungsfähigkeiten. Konflikte mögen Teil des Lebens sein, doch wie ein Mensch damit umgeht, ist individuell unterschiedlich und auch zum großen Teil davon abhängig, mit wieviel Energie ein Mensch Konflikten konstruktiv begegnen kann. Das vorhandene Energielevel mag auch von der Fähigkeit zur Muße abhängig sein. Ist Muße nicht antiquiert?
Arbeitsmoral und Muße
Zweimal am Tag zu schlafen gilt heutzutage mancherorts als faul und unproduktiv. Wir reden hier von der westlichen Kultur, denn in Japan ist es noch üblich, das Kinder in der Schule schlafen, also ein Nickerchen machen. Dieses Nickerchen galt als Bestätigung der nächtlichen Informationsverarbeitung. Ich erinnere mich soeben an das Nickerchen des Fischers, aus einer Kurzgeschichte von Heinrich Böll namens “Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral”. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wird als wirtschaftlicher Aufschwung gesehen und als Wunder interpretiert, besonders aufgrund der Folgen des zweiten Weltkrieges, Inflation, Arbeitslosigkeit, Hungersnot, etc. Böll kontrastiert hier den sogenannten Sieger, den gebildeten, wohlhabenden, erfolgreichen Touristen, mit dem Verlierer, den im Boot dösenden Fischer. Der Tourist wird nicht primär mit einem Materialisten gleichgesetzt, sondern eher als ein sehr geschäftiger Mensch gesehen, welcher sich auch gerne ähnlichen Tätigkeiten, wie die des dösenden Fischers, hingeben möchte. Jedoch setzt der Tourist dieses Nickerchen erst weit in die Zukunft hinein, nachdem er reichlich expandiert hat. Der alles aussagende Satz des Fischers “Aber das tu ich ja schon jetzt”, welcher sogleich bedeutet, dass der Fischer nicht erst ein Imperium von Fischerbooten, Angestellten, einen Vertrieb, etc. aufbauen muss, sondern sich jetzt schon der Muße hingeben kann, stellt die Paradoxie der Kurzgeschichte dar, welche der Tourist nicht wirklich nachvollziehen kann.
Produktivität ist eine tolle Sache. Ich liebe sie auch bezüglich meiner eigenen Arbeit, doch genau so sehr liebe ich die Muße. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen. Regelmäßige Pausen während der Arbeit fördern erst die Effizienz. Ein paar Minuten pro Stunden Ablenkung, in Form eines Tees, der Blick aus dem Fenster, ein kurzer Spaziergang, ein paar Streckübungen, ein entspannter Song, oder auch der Genuss eines kleinen Stückes dunkler Schokolade, wirken wahre Wunder.
Muße zum Powernapping
Muße wird heute teilweise negativ besetzt und mit Herumlungern gleichgesetzt. Doch zu warten zahlt sich in vielen Fällen aus. Pausen helfen nicht nur bei der Orientierung, ein Problem von einer ganz anderen Warte aus zu betrachten, sondern erzeugen unter anderem auch Langsamkeit. Diese Langsamkeit kann in manchen Fällen dazu führen, Fehler zu vermeiden. Die Zeit manchmal zu vergessen ist nicht nur Balsam für die Seele, sondern äußerst wertvoll, um Kreativität und Effizienz zu steigern.
2001 wurde eine 7-tägige Studie von Renee D. Carrigan, Kristin R. Micahlowski und June J. Pilcher durchgeführt mit dem Ziel die Wechselwirkungen von Nickerchen am Tage und nächtlichen Schlaf herauszufinden. Dazu wurden 79 Erwachsene (Durchschnittsalter von 54,8 Jahren) und 87 Jugendliche (Durchschnittsalter von 18,9 Jahren) in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe führte kein Nickerchen durch, die zweite Gruppe führte ein Nickerchen von weniger als 20 Minuten durch und die dritte Gruppe führte ein Nickerchen von mehr als 20 Minuten durch. Die Ergebnisse der Studie besagen, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen bezüglich Quantität und Qualität gab, d.h. ob Sie nun ein Nickerchen machen oder nicht, hat keine Auswirkungen auf ihre nächtlichen Schlafgewohnheiten. Und nun, Nickerchen oder nicht?
Dhand und Sohal (2006) fanden heraus, dass Nickerchen in der Tat positive Effekte haben können und zwar auf unsere Leistung sowie unsere Lernfähigkeit, welche eng gekoppelt sind an unseren Grad an Wachheit. Leistung und Lernen lassen sich leichter mit einem wachen Geist bewerkstelligen. Somit kann ein Nickerchen von 10 bis 30 Minuten am Tag sehr zuträglich sein. Längere Nickerchen allerdings werden in Verbindung mit Schlafproblemen und Produktivitätsdefiziten gebracht. Finden diese längeren Nickerchen dann noch regelmäßig statt, können diese sogar langfristig die Gesundheit beeinträchtigen.
Was nun? Die Antwort lautet wie so oft: Es kommt darauf an. Und zwar kommt es auf das Individuum an. Entscheide selbst! Ein Powernapping von max. 30 Minuten zwischen 13 und 14 Uhr kann das Herz Kreislauf System schützen, Stress abbauen und die Stimmung zu heben (Pohl, 2015).
Mut zum Sein
Der Schlaf, welch unverblümter Spiegel unseres Gemüts und unserer Gesundheit. Der Schlaf vergibt nicht, er richtet. Stress ist somit nicht greifbar, sondern stellt eine Diskrepanz zwischen dem was von uns erwartet wird und dem was wir zu leisten vermögen. Diese Form von Stress wäre external induziert, also von außen kommend. Das könnten Regeln, ausgesprochen oder stillschweigend akzeptiert, der Gesellschaft, in der wir leben, sein. Es gibt noch eine andere Art von Stress, welcher von innen herrührt, welchen ich mir selbst auflege. Wie komme ich dieser Form von Stress auf die Schliche?
Ich möchte mich hierbei auf Erich Fromm (1999) beziehen und seinen beiden Orientierungen am Leben. Die eine Orientierung bezieht sich auf das Sein, ist also produktiv. Da hätten wir es wieder, die Produktivität, doch die hier angesprochene mag eine ganz andere sein. Der am Sein orientierte produktive Mensch lebt aus sich heraus. Er kehrt sein Inneres nach außen. Kurz: Er lebt! Der am Haben orientierte Mensch kommt eher einer Maschine gleich, einer eigenartigen Form von Passivität. Kurz: Er lebt nicht, sondern wird gelebt. Laut Fromm vermeiden wir Passivität durch die Flucht in die Geschäftigkeit. Geschäftigkeit ist hier aber nicht gleichzusetzen mit Produktivität. Geschäftigkeit hier ist eher als eine entfremdete Aktivität zu verstehen. In anderen Worten gehe ich einer Tätigkeit nur aus finanziellen Gründen nach, denn das was ich mir damit kaufen kann, kompensiert wiederum den nicht bzw. teilweise wahrgenommenen Frust. Die vorher angesprochene Muße wäre hier gleichzusetzen mit einer nicht entfremdeten Aktivität und nicht mit Passivität. Wir mögen zwar passiv sein, sofern wir uns der Muße hingeben, doch im eigentlichen Sinne sind wir aktiv. Das mag gerade heute, in unserer Leistungsgesellschaft sehr schwer zu verstehen sein. Die Verantwortung für unser Tun liegt bei uns und ein gesunder Schlaf beginnt nicht erst im Bett, sondern Stunden und manchmal sogar Tage vorher.
Fazit
Was lässt sich aus dem Gesagten herausziehen? Mal hin und wieder es dem Koala auf dem Titelbild nachzumachen und dies nicht als Angriff auf die eigene Produktivität, sondern als Bereicherung für die eigene Produktivität zu sehen, wäre für mich schon mal ein erster Schritt in eine interessante Richtung. Ob es jetzt 8, 10 oder 6,5 Stunden pro Nacht sind, obliegt deinem persönlichen Urteil. Solange du merkst, dass du dir dabei etwas gutes tust oder ob du dir schadest, sollte hilfreich genug sein, um erste Gehversuche, hin zu gesunden Schlafgewohnheiten zu beschreiten.
Literatur:
- Beuthien, Tanja (2018). Kulturgeschicht des Schlafs. Ruhe bitte! (S.68-71). Hamburg: P.M.
- Carrigan, Renee D.; Micahlowski, Kristin R.; Pilcher, June J. (2001). The Prevalence of Daytime Napping and Its Relationship to Nighttime Sleep.
- Dhand, R., & Sohal, H. (2006). Good sleep, bad sleep! The role of daytime naps in healthy adults. Current opinion in pulmonary medicine, 12(6), 379–382. https://doi.org/10.1097/01.mcp.0000245703.92311.d0
- Fromm, Erich (1999). Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Band II Gesamtausgabe. Analytische Charaktertheorie. Stuttgart: DTV
- Pohl, Elke (2015). Karrierefaktor guter Schlaf. Wiesbaden: Springer