“Optimale Homöostase benötigt ein Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, d.h. eine ausgeglichene Aktivität des sympathischen und parasympathischen Teils des vegetativen Nervensystems. Dieses Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems wird durch die Frequenz und Tiefe der Atmung geregelt. Optimale Homöostase ist sprichwörtlich abhängig von einer korrekten Atmung.” (Elliot, 2006)

Dies sind die Zeilen von Stephen Elliot, Begründer des Kohärenten Atmens. Es stellt zudem eine Frage, ganz am Anfang seines Buches, welche ich wirklich gut finde. Braucht unser vegetatives Nervensystem Führung? Statt Führung könnte man auch das Wort Unterstützung nehmen. Er antwortet mit Ja und Nein. Das erinnerte mich an meinen Chemie Lehrer, welcher auf Fragen immer mit “es kommt darauf an” antwortete. Auf was genau kommt es denn an, könnte ich jetzt fragen.

Unser vegetatives Nervensystem ist sehr gut, wenn es um dringende Dinge geht. Das muss nicht immer bedeuten, dass wir im Kampfmodus oder im Fluchtmodus sind. Es können auch ganz normale Umstände sein, welche dennoch mit dem Überlebensmodus einhergehen, d.h. das sympathische Nervensystem ist aktiv. Wenn wir im Stress sind wird Adrenalin produziert. Dann nimmt die Herzfrequenz zu. Der Blutdruck steigt. Die Verdauung wird auf Pause geschaltet. Die Bronchien weiten sich. Die Leber produziert mehr Zucker, auch Glukose genannt. Das veranlasst einen Anstieg im Blutzuckerspiegel. Denken scheint auch nicht mehr so gut zu funktionieren. Wir fallen zurück in automatisierte Denk- und auch Verhaltensmuster. Wenn dieser Stress länger anhält braucht Adrenalin Unterstützung von Cortisol. Cortisol setzt immer verspätet ein. Ich möchte es noch einmal erwähnen. Weder Adrenalin noch Cortisol sind schlecht, sie sind in der Tat sehr gut, denn sie helfen uns, in schwierigen Situationen, klarzukommen.

Wenn diese Stresssituation nachlässt, sinkt das Cortisol und das Adrenalin. Das wäre optimal, doch dies ist nicht immer so. Manchmal bleiben wir auf einem erhöhten Niveau hängen, d.h. unsere Herzrate ist konstant erhöht, die Muskeln chronisch angespannt und manchmal macht sich Angst breit. Viele der heutigen Probleme, bzw. Erkrankungen gehen zurück auf eine Dysregulation des vegetativen Nervensystems. Diese Dysregulation geht einher mit einer Hyperaktivität. In anderen Worten sind wir konstant übererregt. Mit dieser Übererregung gehen folgende Probleme einher:

  • eine Erhöhung der Herzrate
  • ein erhöhter Blutdruck
  • Kopfschmerzen
  • Temporomandibuläre Dysfunktion (TMD) oder craniomandibuläre Dysfunktion (CMD)
  • ein erhöhter Muskeltonus
  • Schmerzen
  • Angst und eine starke Tendenz zum Sorgenmachen
  • Verdauungsprobleme
  • eine erhöhte Tendenz zur Rumination, oder der Kopf scheint ununterbrochen zu reden
  • Aufmerksamkeitsprobleme
  • Energiedefizite, oder Abgeschlagenheit
  • Schlafprobleme
  • und schließlich negative Auswirkungen auf den Alterungsprozess

Ich denke, die Liste ist lang, sie könnte noch länger sein, doch das was hier steht, sorgt bei mir schon für ein wenig Aufregung. Halten wir fest. Das vegetative Nervensystem schafft es alleine nicht, eine optimale Balance herzustellen. Wer denn dann? Die Antwort lautet: Unser Bewusstsein. Bzw. hier möchte ich die Wort von Moshe Feldenkrais nutzen. Unsere Bewusstheit. Wenn ich wach bin, bin ich bei Bewusstsein, doch gewahr bin ich dann noch nicht. Erst wenn dies dazukommt, komme ich vom Bewusstsein zur Bewusstheit. Und was mache ich jetzt mit dieser Bewusstheit, welche den ersten Schritt darstellt.

  1. Ich atme und nehme mich mit meiner Atmung wahr.
  2. Ich ändere meine Atmung und nehme mich mit meiner veränderten Atmung wahr.
  3. Ich beobachte, was sich geändert hat und mache dies immer wieder und beobachte, wie sich langfristig etwas ändert in meinen vegetativen Zuständen.

Atmen unterliegt der Reziprozität zwischen zwei Systemen, dem vegetativen und dem somatischen. So atme ich jeden Tag, ohne mir dessen bewusst zu sein. Das ist das eine, oder auch genannt vegetativ. Ich kann aber auch atmen und mir dessen sehr bewusst sein. Das ist das andere, oder auch genannt somatisch.

So machte Stephen Elliot ein Experiment mit der galvanischen Hautreaktion. Die galvanische Hautreaktion (GHR) hängt mit der Erhöhung des Sympathikotonus zusammen. Wenn ich im Stress bin, kommt es zur vermehrten Schweißbildung und somit zu einem niedrigen Leitungswiderstands der Haut. Bei 5 Atemzügen pro Minute (6 Sekunden einatmen, 6 Sekunden ausatmen) ist die GHR erhöht, d.h. wir haben eine bessere Hautleitfähigkeit. Atmen wir 15 mal pro Minute sinkt die Hautleitfähigkeit fast um die Hälfte. Eine niedrige Hautleitfähigkeit deutet auf eine Übererregung hin, also mehr Sympathikus als Parasympathikus. Dies wäre ein zuverlässige Methode, den emotionalen und physiologischen Stress zu messen. Kohärentes Atmen wäre eine Methode, diesen emotionalen und physiologischen Stress entgegenzuwirken, sprich dem Sympathikus entgegenzuwirken, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen zwischen Sympathikus und Parasympathikus.

Braucht unser vegetatives Nervensystem nun Unterstützung? Für mich bedeutet dies, ein eindeutiges Ja, für den Fall, dass wir erhöhten Stress ausgesetzt sind, bzw. Ja, wenn unsere Wahrnehmungsfilter mehr reinlassen, was ein Zeichen für Hochsensibilität wäre. Falls du zu den Menschen gehörst, die nie gestresst sind, Glückwunsch, weiter so. Falls nicht, kohärentes Atmen ist definitiv eine einfach zu lernende Methode und hoch effektiv.  

Literatur: 

  • Elliot, Stephen (2006). The new science of breath. Allen: Coherence Press

Bilder:

  • Foto von Jeremy Thomas auf Unsplash